Beleidigt? Cops zeigen polizeikritisches Pappschild an

Beleidigt? Cops zeigen polizeikritisches Pappschild an

Pressemitteilung vom 29.03.2021

Ist „Rechtsbrecher*in“ eine Beleidigung? Wenn man mehrmals dabei lacht, auf jeden Fall, sagt die Berliner Polizei. Auf einer Guerilla-Pressekonferenz im Dezember hatte das Kollektiv „Polizei abschaffen“ Poster mit Kritik an der Polizei wegen Rassismus und Polizeigewalt vor dem LKA-Gebäude der Öffentlichkeit präsentiert. Dabei störte die Polizei mit Einschüchertungsversuchen. Daraufhin stellte sich ein*e Aktivist*in mit einem Papppfeil mit der Aufschrift „Rechtsbrecher*in“ neben verschiedene Beamte. Das soll nun eine Beleidigung gewesen sein. Aktenteile, die dem Kommunikationsguerilla-Kollektiv „Polizei abschaffen“ zugespielt wurden, zeigen: Die Cops stören sich vor allem an der medialen Verbreitung des Fotomotivs. „Kritik an der Polizei ist keine Beleidigung, sondern eine gesellschaftliche Notwendigkeit“, sagt Barbara Jendro, die Sprecherin der Gruppe. „Das zeigen auch die über 65.000 Klicks allein bei Facebook.“ (1)

Adbustings: „Kann illegal, kann scheißegal“

Im Dezember 2020 wollte das Adbusting-Kollektiv „Polizei abschaffen“ eine Poster-Serie mit Kritik an Polizeigewalt und Rassismus der Öffentlichkeit präsentierten. In den frühen Morgenstunden kaperte das Kollektiv über 40 Werbevitrinen in der Berliner Innenstadt. Statt Werbung für H&M zeigten die Vitrinen nun Poster mit Polizei-Piktogrammen. Vorbei laufende Passant*innen konnten dazu Slogans wie „Kann illegal, kann scheißegal. Statt Polizeigewalt zu hinterfragen verfolgen wir lieber Adbusting“ oder „Kann inhaftieren, kann schikanieren: Statt uns mit strukturellen Rassismus zu beschäftigen, verfolgen wir lieber Adbustings“ lesen (2).

Pressekonferenz vorm LKA

Die Krönung der Aktion war eine Guerilla-Pressekonferenz direkt vor dem Eingang des Staatsschutzes des LKA. Um den anwesenden Journalist*innen und Polizist*innen zu demonstrieren, dass sich die Werbevitrinen mit einem einfachen 8-9mm Sechskant-Rohrsteckschlüssel aus dem Baumarkt ohne Beschädigung oder Diebstahl öffnen lassen, hatte die Gruppe extra ein Poster aufgehoben.

Die Cops spielen mit

Doch die anwesenden Beamt*innen verhinderten kurzerhand die Performance mit der Androhung von Gewalt, ohne für ihr Eingreifen eine Rechtsgrundlage nennen zu können. Selbst als die Aktivist*innen ihnen ein als „Darfschein“ (3) bekanntes Einstellungs-Schreiben der Staatsanwaltschaft vor die Nase hielten, blieben die Cops unbelehrbar beschützend vor der Vitrine stehen. „Die juristischen Formulierungen der Staatsanwaltschaft bezüglich der Legalität von Adbustings sind den Cops wohl zu komplex“, kommentiert Barbara Jendro.

Geht Rechtsbrecher*in viral?

Während dessen stellte sich eine Kommunikationsguerilla-Aktivist*in mit einem pfeilförmigen Pappschild neben die Beamt*innen. Auf dem Schild stand das Wort „Rechtsbrecher*in“. Deswegen erstatteten die eingesetzten Beamten Anzeige. Laut Akte stört die Cops vor allem, dass durch die Anwesenheit von Pressevertreter*innen die Kritik an der Polizei ein breites Publikum finden könnte (4).

Abenteuerliche Juristerei

In der Akte wird als Rechtsgrundlage für den Einsatz lediglich der „Schutz privater Rechte […] der Firma Wall“ genannt. Hier brauchen die Beamt*innen wohl dringend Nachhilfe im Berliner Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz (ASOG), das die Aufgaben und Befugnisse der Polizei regelt. Es regelt auch, dass die Polizei kein kostenloses Paramilitär für Betriebe wie Wall ist. Der Einsatz von 18 Beamt*innen zur Sicherung einer Werbevitrine sprengt ohne Frage jede Verhältnismäßigkeit.

Polizei findet Adbusting doch nicht strafbar

Dass Adbusting nicht strafbar ist, ist laut Einsatzbericht auch bei den eingesetzten Beamt*innen zumindest im Nachhinein unstrittig. Polizeikommissar Onur Şahin zitiert den Einsatzleiter Polizeihauptmeister Krecklow, dass „wegen des Anbringen des Transparents kein Strafverfahren eingeleitet“ werde. Vorher waren schon die Staatsanwaltschaft Berlin und Innensenator Akmann zu dem selben Schluss gekommen. Barbara Jendro dazu: „Schön, dass die Polizei wenigstens nachträglich auf die Vorgaben der Staatsanwaltschaft und des Innensenators hört.“

Fotos auf einer Pressekonferenz?!

Weiter schildert Polizeimeister Dominik Schöning in der Anzeige, wie nach dem rechtsbrecherischen Einschreiten der Beamt*innen eine Person „ein selbstgemachtes Plakat in Pfeilform, mit der Aufschrift ‚Rechtsbrecher‘ nach oben hielt. Dabei hielt er dieses Plakat so, dass der Pfeil auf die hier aufgeführten Einsatzkräfte zeigte und dann durch Pressevertreter fotografiert werden konnte.“ Barbara Jendro merkt an: „Darum geht’s bei ner Pressekonferenz…“

Ehre, wem Ehre gebührt…

Doch damit nicht genug: Fünf der eingesetzten Beamt*innen der 11. Einsatzhundertschaft bastelten direkt nach der Pressekonferenz zusammen mit dem Staatsschutz 521 eine Anzeige wegen Beleidigung. Die LKA-Abteilung 521 ist in Berlin berühmt-berüchtigt, weil sich die Beamt*innen dabei erwischen ließen, wie sie zu Weihnachten Nazi-Grüße in ihre Chatgruppe posteten, den islamistischen Attentäter Anis Amri von der Observationsliste strichen, um linke Hausbesetzer*innen überwachen zu können, Daten von Linken an Nazis weitergaben oder „privat“ Drohbriefe mit „dienstlichen“ Informationen an Aktivist*innen schickten, ohne ernsthafte Konsequenzen fürchten zu müssen. Die Beamt*innen schreiben, dass durch den Pfeil mit der Aufschrift „Rechtsbrecher*in“ die Beamt*innen sich in ihrem „Ehrgefühl stark verletzt“ fühlen.

„Gut“, findet Barbara Jendro: „Es ist höchste Zeit, dass staatlich bezahlte Gewalttäter*innen, die andere auf Befehl einschüchtern, bedrohen, schlagen, zwangsräumen und abschieben, ihr Ehrgefühl hinterfragen.“

Lachen verboten

Besonderen Anstoß nimmt Polizeimeister Schöning am Verhalten der den Papp-Pfeil haltenden Aktivist*in: „Dabei lachte er mehrere Male.“

Polizeimeister Schöning läuft derweil zu prosaischer Höchstform auf: „Ein Polizeibeamter hat jederzeit für die demokratische Gesellschaft einzutreten und ist ein Garant für Recht und Ordnung. Dieses falsche Bild eines Polizeibeamten, welches durch die Pressevertreter weit in die Öffentlichkeit getragen werden kann, hat die Beamt*innen sehr in ihrem Ehrgefühl verletzt und stellt ein deutlich falsches Bild der Polizei Berlin dar.“ Barbara Jendro dazu: „Wenn die für eine demokratische Gesellschaft eintreten wollen, sollten die mal bei ihren Kumpelz von der 521 nach den Rechten sehen. Stattdessen schüchtern die Pressekonferenzen ein, scheißen auf Rechtsgrundlagen, ignorieren Beschlüsse der Staatsanwalt, machen auf Privatschläger*innenkombo für die Firma Wall und verfolgen Kritiker*innen mit Anzeigen.“

Straftäter*in oder Rechtsbrecher*in?

Nachtragend sind die Anzeige erstattenden Cops außerdem auch noch: „Eine etwaige Entschuldigung ist nicht akzeptabel, da die eingesetzten Beamten mit Straftätern auf eine Ebene gestellt wurden und dies mit völliger Absicht des Beschuldigten erfolgte.“ Barbara Jendro widerspricht: „Straftäter*innen sind Leute, die Recht brechen und dafür verurteilt werden. Die Rechtsbrecher*innen von der Polizei können hingegen Recht brechen, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen. Viele Straftäter*innen wären sicher in ihrem Ehrgefühl stark verletzt, wenn man sie mit Polizist*innen auf eine Ebene stellen würde.“

Öffentlichkeitsarbeit gegen Einschüchterung

Die aktuelle Beleidigungsanzeige ist nicht das erste Mal, dass das Berliner LKA massiv gegen Kommunikationsguerilla-Aktionen vorgeht. Seit 2015 beschäftigt sich eine Ermittlungsgruppe der Abteilung 521 speziell mit dem Verändern von Werbeplakaten von Polizei und Militär. Diese Ermittlungsgruppe ließ wegen veränderter Werbeposter mindestens 5 Hausdurchsuchungen durchführen und DNA-Spuren sammeln. Begründung: Adbusting mache die Behörden „gar lächerlich“. Berliner Behörden meldeten in den Jahren 2018/19 mindestens drei Adbusting-Aktionen ans Terrorabwehrzentrum GETZ und sorgten so dafür, dass Adbusting in den Verfassungsschutzbericht aufgenommen wurde. Auch gegen das Peng-Kollektiv ermittelte der Berliner Staatsschutz wegen einer Klingelstreich-Aktion.

Doch das ließ sich die hauptstädtische Kommunikationsguerilla-Szene nicht gefallen. Mit vielen Aktionen, parlamentarischen Anfragen und rotzfrecher Öffentlichkeitsarbeit sorgten die Aktivist*innen dafür, dass die unverhältnismäßigen und überzogenen Ermittlungen wegen veränderten Werbetafeln die Behörden erst recht der Lächerlichkeit Preis gaben. Ergebnis: Kein Eintrag mehr im VS-Bericht, das Innenministerium findet Adbusting nicht mehr gewalttätig, keine Hausdurchsuchungen in 2020 und Staatsanwaltschaften, die ermittlungseifrige Cops zurückpfeifen.

Wie geht es weiter?

„Mal gucken, wie ernst die das diesmal meinen oder ob die Staatsanwaltschaft erkennt, dass das im Gerichtsprozess wieder gar lächerlich enden könnte“, kichert Barbara Jendro. Der Paragraf 185 Strafgesetzbuch definiert nur unwahre Äußerungen als strafbare Beleidigung. Zu rechtsbrechenden Cops dürfe man also straflos Rechtsbrecher*in sagen. Ein Gerichtsprozess würde sich also um die Frage drehen, ob die eingesetzten Polizist*innen Rechtsbrecher*innen sind. „Dass dem so ist, haben wir nun mehr als ausreichend erklärt“, sagt Barbara Jendro: „Und somit ist auch die Beleidigungsanzeige eine unrechtmäßige Verfolgung von Unschuldigen.“

Mehr Infos:

(1) Eine Version des Videos findet sich bei Facebook und weist dort über 65.000 Klicks auf. https://www.facebook.com/187915725301537/videos/800596013819098/?__so__=channel_tab&__rv__=playlists_card

(2) Weitere Bilder, Videos und Texte zur und von der Pressekonferenz finden sich auf unserer Website. https://abschaffen.noblogs.org/

(3) Eine digitale Version des „Darfscheins“ findet sich im Downloadbereich unserer Website. https://abschaffen.noblogs.org/files/2020/12/darfschein.pdf

(4) Presseschau:

Joswig, Gareth: Keine Werbung für die Polizei. https://taz.de/Adbusting-Aktion-vor-dem-LKA-Berlin/!5729074/

Frank, Marie: Verfolgte Kritik. https://www.neues-deutschland.de/artikel/1145247.adbusting-verfolgte-kritik.html

Brandt, Martin: Bis in die U-Bahn verfolgt. https://jungle.world/artikel/2020/50/die-beamten-haben-sie-bis-die-u-bahn-verfolgt

Reimann, Jakob: „Eine Welt ohne Polizei wäre eine bessere“ – über Werbung und Guerilla. https://diefreiheitsliebe.de/politik/eine-welt-ohne-polizei-waere-eine-bessere-ueber-werbung-und-guerilla/

Supernova Magazin: https://www.youtube.com/watch?v=yk5DcA6uziI

Bilderserie in der Süddeutschen: https://www.sz-photo.de/?60044309618120829140&EVENT=WEBSHOP_SEARCH&SEARCHMODE=NEW&SEARCHTXT1=adbusting

Unser eigenes Video: https://www.youtube.com/watch?v=e7q-51zv-1w&t=1s